Kürzlich habe ich den Fotobuch-Kurator Michael Kollmann in der Bibliothek der Galerie OstLicht besucht. Mit ca. 25.000 Büchern rund um das Thema Fotografie ist diese Bibliothek ein Geheimtipp für all jene, die ein bisschen tiefer in die Materie der Fotokunst und-theorie eintauchen wollen. Außerdem gibt es hier zahlreiche rare und längst vergriffene Fotobücher, die man sich Mittwoch bis Freitag von 12 Uhr bis 18 Uhr ansehen kann. Platz nehmen kann man entweder in einem bequemen Couchsessel oder an einem echten Zobernig-Tisch wo man vom Bibliotheksmaskottchen „Burschi“ des kürzlich verstorbenen Fotografen Peter Dressler beobachtet wird. Mein Besuch dauerte dann doch fast vier Stunden, denn wenn der Fotobuchexperte Michael Kollmann einmal zu erzählen beginnt, ist er nicht mehr zu stoppen.
Zudem ist Michael Kollmann Mitbegründer des ViennaPhotobookFestivals, das im Juni dieses Jahres mit großem Erfolg zum ersten Mal am Gelände der ehemaligen Ankerbrotfabrik stattfand.
Dein neuestes Projekt ist „Publisher in Residence“. Wie kam dir die Idee zu diesem Projekt und was kann man sich darunter vorstellen?
Meine Mission als Fotobuchkurator ist es, dem Medium Fotobuch als eine der wichtigen Säulen in der Fotografie die ihm gebührende Anerkennung zukommen zu lassen. Peter Coeln, der Besitzer der Galerie OstLicht und des Fotomuseums WestLicht, ist ja einer der sehr weit vorausblickt und schon sehr früh erkannte, dass das Fotobuch im Ausstellungskontext eine immer wichtigere Rolle einnimmt. Somit hat er mich als bekennenden „Fotobuch-Nerd“ damit beauftragt, Lösungen für eine zeitgerechte Präsentationsform in beiden Häusern zu finden. Da wir im OstLicht soeben unseren Bookshop neu eingerichtet haben, wollte ich auch hierfür keine handelsübliche und gebrauchsfertige Lösung.
Die Idee hinter „Publisher in Residence“ ist folgende: Sowie eine Galerie einem Künstler exklusiv ihren Platz und ihre Aufmerksamkeit für die Dauer einer Ausstellung bereitstellt, wollen wir im OstLicht auch das gleiche Prinzip auf den angeschlossenen Bookshop anwenden. Wir bieten für die Dauer von 3-4 Monaten einem einzigen Verlag, Herausgeber oder Fotobuch-Künstler die Möglichkeit, sein gesamtes Repertoire zu präsentieren. Das hat einerseits den Vorteil, dass sich ein Label zeigen kann und andererseits ist es auch eine verkaufstechnische Innovation. Im Falle unseres ersten Verlages RVB BOOKS aus Paris ist es so, dass deren Bücher bis dato noch nie in Österreich zu sehen oder gar zu erwerben waren. Wir sind somit der einzige Bookshop in Österreich, in dem diese Fotobücher zurzeit erhältlich sind. Und somit sind wir wieder bei dem ursprünglichen Galeriegedanken. Wir wollen die gleiche Qualität, die wir in unserer Galerie vertreten, auch in dem dazugehörigen Bookshop anbieten.
Nach welchem Schema suchst du die Verlage aus bzw. was war dir bei der Auswahl besonders wichtig?
Es sind in erster Linie „Independent Publisher“ im Fokus. Dazu muss ich jetzt aber kurz ausholen. Wir befinden uns ja gerade in der dritten Umbruchsphase der Fotobuchgeschichte.
Als sich ab 1890 die Autotypie als Druckverfahren durchsetzte und es erstmals möglich war, Bild und Text in einem Durchgang zu drucken, kam es zur Geburtsstunde des modernen Fotobuches. Die Einbindung von Fotografie ins Medium Buch erreichte durch diese technische Rationalisierung die Massentauglichkeit . Einen weiteren entscheidenden Wandel erfuhr das Fotobuch ab den 1960er-Jahren. Zu dem Zeitpunkt gab es, ausgelöst durch das Entstehen elektronischer Drucktechnologien, erneut einen Paradigmenwechsel. Es begannen nun KünstlerInnen in dem Medium Fotobuch ihr eigentliches künstlerisches Endprodukt zu sehen. Auf größtenteils handelsüblichen Bürofotokopierern wurde selbst gedruckt und verlegt. Aus dieser Phase stammen dann eben jene Meisterwerke wie die Publikationen von Ed Ruscha, Hans Peter Feldmann oder die experimentellen japanischen Provoke Magazine, die den Höhepunkt dieser Entwicklung darstellen.
Und nun befinden wir uns inmitten einer neuen sehr, sehr spannenden Neuorientierung, ausgelöst durch die in den letzten Jahren ausgereiften digitalen Technologien. Es ist ja so faszinierend, zu beobachten, was da gerade abgeht. Wir haben nun Werkzeuge in der Hand, die den in den 1960er-Jahren entstandenen „selfpublishing“ Gedanken neu definieren, und die Endprodukte haben eine so noch nie da gewesene Qualität. Unglaublich.
Daher suche ich für das „Publisher in Residence“ Programm eben solche Klein- und Kleinstverleger (Independent Publisher) aus, die diesen Umbruch am besten sichtbar machen. Ich möchte damit eine Entwicklung und einen Prozess darstellen. Und wir können dem Wiener Publikum somit Fotobuchkunst vom Feinsten anbieten.
Warum hast du dich gerade für die Fotobücher des RVB Books Verlags entschieden?
Ich hatte mit Remi Faucheux, einem der beiden Verleger von RVB Books, ja schon des Öfteren auf Photobook Festivals in Paris, Düsseldorf oder Amsterdam darüber gesprochen, ob er es sich vorstellen könnte, seine Bücher in Wien zu präsentieren. Ich bin schon lange ein Fan ihrer doch sehr künstlerischen Fotobücher. Bei „Publisher in Residence“ war mir von Anfang an klar, dass RVB BOOKS die Ersten sein werden. Ihre Bücher sind unglaublich hochwertig produziert und haben extrem viel Humor. Die Preisgestaltung bei den einzelnen Titeln ist sehr entgegenkommend. Sie machen Bücher von Weltrang, das will heißen, dass sie unter den Nominierungen der 20 besten Fotobücher eines Jahres der letzten Jahre immer vertreten waren. Sie sind durch ihre limitierten Auflagen sehr beliebt bei Sammlern (vergriffene Titel werden schon über 300€ gehandelt) und letztendlich sind sie die perfekte Einstiegsdroge in die faszinierende Welt des Fotobuchs.
Mein persönliches Lieblingsbuch des RVB Verlags ist das Fotobuch KARMA von Óskar Mónzon, das sogar für den diesjährigen THE APERTURE PARIS PHOTOBOOK AWARD nominiert ist. Ich mag Künstlerbücher mit wenig bis kein Text, in denen die Bilder eine Geschichte erzählen. Was macht für dich ein gutes Fotobuch aus bzw. welche Kriterien muss es für dich unbedingt erfüllen?
Ein gutes Fotobuch muss für mich in erster Linie als ein in sich geschlossenes eigenständiges Medium funktionieren und auch so gedacht sein. Nach diesem Prinzip fällt dann schon mal einiges aus der Wertung. Die dann noch überbleiben, müssen meiner Neugierde standhalten. Ein Buch darf nicht zu leicht zu entschlüsseln sein, es muss schon eine Magie bereithalten, die mich in den Bann zieht, es sollte Deutungsmöglichkeiten offen lassen. Das Spiel mit einer visuellen Grammatik, die ja eine ungeschriebene ist und nicht die Erklärung der Welt, ist der eigentliche Grund dafür, warum mich die Fotobücher seit jeher faszinieren.
Ich weiß ja, dass du schon über einen längeren Zeitraum hinweg Fotobücher sammelst. Hast du noch einen Überblick, wie viele Bücher du hast? Gibt es darunter ein Buch, an dem du besonders hängst?
Ich persönlich sammle seit mehr als 20 Jahren Fotobücher, aber meine Sammlung ist dennoch überschaubar. Auf die Frage nach dem Lieblingsbuch wird es schwierig, da ich ja alle recht gerne habe. Aber auf meine fast vollständige Sammlung von Stephen Gill Fotobüchern bin ich schon sehr stolz. Da ist jedes für sich einzigartig.
Welches war dein erstes Fotobuch bzw. welches ist deine neueste Errungenschaft?
Eines meiner ersten Fotobücher war Waffenruhe von Michael Schmidt (Dirk Nishen Verlag) das ich so Anfang der 1990er-Jahre aus einer Abverkaufsschütte um 100 Schilling zog. Solch eher abstrakte Fotobücher blieben immer über, die wollte keiner. Heute ist das ein gesuchter Fotobuchklassiker, für den man schon einige 100 Euro hinblättert. Meine neueste Errungenschaft ist Gasoline von David Campany (Mack books). Eine wunderschöne Sammlung von Archivfotos aus aufgelassenen Zeitungsredaktionen über Tankstellen im Amerika der 1950er bis 1970er-Jahre. Im ersten Teil des Buches werden die für die Zeitungsdrucklegung markierten Fotos gezeigt. Im zweiten Teil kann man dann die beschriftete Rückseite der Fotografien in derselben Anordnung nochmals sehen. Das Buch verfolgt keinen analytischen oder künstlerischen Selbstzweck, sondern richtet sich an Menschen, die eine Fotografie als Objekt an sich gerne mögen. Sooooo schön!
Ich bin ganz begeistert von eurer Bibliothek in der Galerie OstLicht. Willst du mir kurz etwas über diesen wunderbaren Ort erzählen? Habt ihr den Fokus auf etwas Bestimmtes gelegt?
An dieser Stelle muss ich aber nochmals ganz großen RESPEKT an meinen Chef Peter Coeln aussprechen, ohne den es das Ganze natürlich nicht geben könnte. Eine unglaublich bewundernswerte Persönlichkeit, die mäzenatisch tätig ist. Es handelt sich ja dabei um seine private Fotobuchsammlung, die er seit Jahrzehnten zusammengestellt hat. Anstatt im stillen Kämmerchen seine Schätze zu bewahren, ist es ihm sehr wichtig, dass die Fotobücher zugänglich sind. Damit ist auch sichergestellt, dass auch einer jüngeren Generation die wichtigsten Einblicke in die 175-jährige Geschichte der Fotografie gewährleistet sind.
Andreas Resch, dem Bibliothekar der Bibliothek der Galerie OstLicht, ist es nun gelungen, die Bestände der Fotobuchsammlung von Peter Coeln – die an die 25.000 Bücher umfasst – in die richtige Ordnung und Struktur zu bringen, sodass die Bücher nun chronologisch und nach thematischen Schwerpunkten aufgestellt sind. Ein Drittel der Bibliothek ist der Fototechnik gewidmet, die wir bewusst nicht ausklammern wollten. Somit lässt sich die Entwicklung eines Mediums bis ins kleinste Detail nachvollziehen und rekonstruieren. Die anderen zweiten Drittel besetzen Monografien, Themengebiete, Kataloge und Zeitschriften, die die Gebrauchsweise der Fotografie hinsichtlich all ihrer Aspekte sowie ihre sich im Lauf der Jahrzehnte verändernde Rezeption belegen sollen.
Es war uns von Anfang an wichtig, dass der Ort zu keinem „Bücherfriedhof“ abgleitet. Wir haben eine eigene Ausstellungswand installiert, die wir im regelmäßigen Abstand immer wieder neu bespielen. Meist geschieht dies thematisch passend zur laufenden Galerieausstellung, aber auch eigene Themenschwerpunkte wie „Paris im Fotobuch“ oder Allan Porters „CAMERA“ finden ihren Platz. Spannende Vortragsabende internationaler Fotobuchexperten sowie interessante Buchpräsentationen wichtiger FotokünstlerInnen über das ganze Jahr verteilt tun das ihre dazu. Und mit unserem unglaublich chilligen und wunderschönen Ambiente haben wir längst Kultstatus erreicht. Die Bibliothek der Galerie OstLicht wurde vom Start weg sehr gut angenommen und wir funktionieren als Ort der Begegnung. Wir konnten auch schon vielen Studenten bei ihren Recherchen zu Diplomarbeiten unterstützen. Junge Künstler holen sich bei uns Inspiration. Fachpublikum aus dem Ausland kommt gezielt zu uns, um in unseren historischen Technikbüchern Rezepturen alter Fotochemie zu erforschen.
Und bei uns kann es sehr leicht vorkommen, dass einem zwischen den Bücherregalen Patti Smith, Roger Ballen, Antoine d’Agata, Elliot Erwitt, Hilla Becher oder Wim Wenders begegnen, denn auch die lassen sich gerne bei ihren Wienbesuchen von der Magie des Ortes und den tollen Fotobüchern verzaubern.
Mit großer Freude habe ich erfahren, dass am 14. und 15. Juni 2014 wieder das ViennaPhotobookFestival stattfinden wird. Beim diesjährigen Festival habt ihr ja den Fokus auf Fotobücher aus dem Osten gelegt. Die Veranstaltung war mit tausenden Besuchern ein großer Erfolg und einige limitierte Künstlerbücher waren bereits am ersten Tag vergriffen. Darunter war auch das auf 50 Stück limitierte Fotobuch von Igor Samolet: be happy!, das jetzt im Peperoni Verlag neu aufgelegt wurde. Was glaubst du, was an diesem Buch so besonders ist?
be happy! von Igor Samolet trifft mit seiner Erzählstruktur den Nerv der Zeit. Die Thematik ist eine alte: „Eine auf Abwegen gekommene Jugend auf der Suche nach dem Weg zu sich selbst“. Jedes Jahrzehnt hat dazu sein Meisterwerk geschaffen. Ed van der Elskens Love on the left bank (1954) ; Larry Clark’s Tulsa (1971) ; Nan Goldin’s Ballade der sexuellen Abhängigkeit (1987) ; Jim Goldberg’s Raised by wolfs (1995) ; Corrine Day’s Diary (2000) oder Dash Snow I love you, Stupid (2000-2009). Jedes Fotobuch der genannten Fotografen stellte die am Abgrund tanzende Boheme ihrer Zeit mit den jeweils passenden technischen und erzählerischen Möglichkeiten am besten dar und gibt somit ein gültiges Abbild einer gesellschaftlichen Subkultur preis. Und da es sich um Klassiker handelt, sind sie zu zeitlosen Erzählungen oder eben Dokumenten geworden, die ihre Zeit überleben.
be happy! von Igor Samolet fügt sich da nahtlos in die Reihe der oben erwähnten Fotobücher. Es spiegelt aber im Besonderen die Sehweise eines mit dem Internet aufgewachsenen Fotokünstlers wider. Der Umgang mit Pornographie war noch nie so gleichgültig und selbstverständlich sichtbar. Diese Beiläufigkeit der dargestellten Szenarien ist das eigentlich erschreckende an dem Buch. be happy! als Metapher zum „Fast Food Glück“ zwischendurch. Eine unglaubliche Leichtigkeit in der Grammatik der Erzählweise und die lockere, ungezwungene Vermischung unterschiedlichster Genres machen Igor zum Quentin Tarantino des Fotobuches. Es wird zwischen Inszenierung, Performance, Dokumenten oder Sinnbildern hin und her gezappt, als ob wir gemütlich vorm Fernseher abhängen. Und eine dermaßen abstrakte Leuchtkraft der nächtlichen Orte ist so auch erst seit dem digitale Aufnahmeverfahren darstellbar.
In seine Gesamtheit ein absolut gelungenes Fotobuch. Was mich aber am meisten daran freut, ist, dass es sich um eine Diplomarbeit eines Fotokunststudenten (Rodchenko School of Photography and Multimedia Moscow) handelt; und wenn ich jetzt auch noch aus dem Nähkästchen plaudern darf, so sage ich hinter vorgehaltener Hand, dass be happy! im dritten Band von The Photobook: A Historie (Hg. von Paar/Badgers) und damit in den Kanon der weltbesten Fotobücher aufgenommen wurde.
Es ist spürbar, welche Qualität entstehen kann, wenn sich die richtigen Leute um die Studenten kümmern. Hannes Wanderer von Peperoni Books war ja in der Phase der Diplomarbeit vor Ort in Moskau eingebunden. Das sollte auch ein Signal an unsere Hochschulen sein, sich dem Thema des künstlerischen Fotobuches ernsthaft anzunehmen, denn noch nie hatte das Medium Fotobuch so einen Höhenflug wie gerade eben.
Vielen Dank für das nette Gespräch!
++ Alle weiteren Infos findet ihr auf der Webseite der Galerie OstLicht ++
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