Schwarze serifenlose Schrift auf weißem Hintergrund, einzig der linksbündig am oberen Rand platzierte Titel „Kunsthalle Wien 1992-2017“ ziert das Cover dieser Künstlerpublikation von Samuel Bich. Die äußerst dezente Buchgestaltung erscheint ungewöhnlich. Sie wirkt gegen die Sehgewohnheit und erinnert durch ihre cleane, minimalistische Optik an einen White Cube.
Der weiße Umschlag wird durch eine Vielzahl farbiger Seiten im Inneren kontrastiert. Die Farben erscheinen in allen Mischtönen und Nuancen, wechseln und wiederholen sich in unregelmäßigen Abständen. Auf den ersten Blick lässt sich kein einheitliches Muster in der Abfolge erkennen. Ihnen ist gemeinsam, dass auf jeder Seite in einheitlichem Layout bestimmte Namen, Titel und Zeiträume genannt sind. Diese bauen chronologisch aufeinander auf und umfassen, wie es der Titel der Publikation vermuten lässt, die Jahre von 1992 bis 2017. Schnell tritt die Erkenntnis ein, dass es sich um eine Aufzählung aller Ausstellungen der Kunsthalle Wien im genannten Zeitraum handelt.
Mit dieser Einsicht versucht man dem Prinzip der Farbgebung auf die Spur zu kommen, sucht Ungenauigkeiten und wiederkehrende Veränderungen, vergleicht Farbnuancen, Titeln und Jahreszahlen, kommt aber zunächst zu keiner klaren Antwort. Gleichzeitig wächst die Neugier, mehr über die einzelnen Projekte zu erfahren. Darunter sind eine Vielzahl von Einzelausstellungen, wie zum Beispiel „Peter Senoner 7/5 2002 16/5 2002“. Blättert man zum Ende, so wird im letzten Eintrag folgende Ausstellung auf einer nunmehr weißen Seite aufgelistet: „Samuel Bich. Kunsthalle Wien von 1992-2017“ mit einer Dauer vom „8/11 2017“ bis zum „28/1 2018“. Hiermit endet die Sammlung und zeigt zugleich an, dass sich Samuel Bichs Projekt, indem es sich der Chronologie einreiht, selbst als eine „Ausstellung“ begreift.
„Kunsthalle Wien 1992-2017“ suggeriert damit, dass eine Ausstellung von Samuel Bich in der Kunsthalle Wien stattfand. Vergleicht man ihre Laufzeit mit der des vorletzten Eintrags, der Ausstellung „Publishing as an Artistic Toolbox: 1989–2017“, so fällt auf, dass beide identisch sind. Durch das scheinbar streng dokumentarische Konzept und die einheitliche Gestaltung bemerkt man erst auf den zweiten Blick, dass mit dieser Chronologie etwas nicht stimmt: Auf ein Inhaltsverzeichnis, Seitenzahlen sowie andere ordnende Merkmale wurde verzichtet. Erst ein kurzer Text im Impressum schafft Aufklärung: Das Buch befasse sich nicht mit der Institution Kunsthalle Wien als solche, sondern sei vielmehr aus einem Interesse für die „Ausstellung als Format“ hervorgegangen. Ein angegebener Internet-Link führt auf die Webseite der Kunsthalle Wien, ein digitales Archiv ermöglicht es, weiterführende Informationen zu aktuellen und vergangenen Ausstellungen zu erhalten. Auch den Farben, die den Ausstellungen auf den Seiten der Publikation zugeordnet sind, begegnet man hier in analoger Form wieder.
Samuel Bich interessiert sich sowohl für die Definitionen und Potenziale als auch für die Grenzen einer Ausstellung. Die Auseinandersetzung mit diesem Thema zieht sich wie ein roter Faden durch seine bisherige Arbeit. Sie zeigt sich beispielsweise auch in „B Künstlerinnen und Künstler“, bei der er nach einem ähnlichen Prinzip vorging: Während er für „Kunsthalle Wien 1992-2017“ vergangene Ausstellungen auflistete, waren es in „B Künstlerinnen und Künstler“ die Namen und Titel von Publikationen, die in einem Regal der Universitätsbibliothek Berlin unter dem Buchstaben „B“ einsortiert wurden. Samuel Bich übertrug diese bibliothekarischen Daten in eine andere archivarische Präsentationsform. Als Buch können diese nun nicht nur in die Hand genommen, sondern sogar selbst wieder in das ursprüngliche Regal eingeordnet werden. Mit beiden Arbeiten schreibt sich der Künstler selbst in eine Sammlung oder ein Archiv ein. Die Präsentation in Buchform wird dabei vom Nebenschauplatz zum zentralen Gegenstand.
Für „Kunsthalle Wien 1992-2017“ überführt Samuel Bich das Archiv der Ausstellungen ins Buch und schafft noch einen weiteren Schritt: Durch die Selbsteinschreibung in die Chronologie wird sein Buch zugleich zur „Ausstellung“. Damit beschränkt sich diese letztlich auch nicht länger auf den angegebenen Zeitraum vom 8. November 2017 bis zum 28. Januar 2018, sondern erweitert die Ausstellung auf jeden beliebigen Moment, an dem die Publikation durchgeblättert wird.