Beim ersten Kontakt liegt „Cosy Complex“ von Gloria Glitzer in der Hand wie der Lageplan oder die Broschüre eines Festivals, auf dem junge Erwachsene in weiten, luftigen Kleidern in der Sonne zu ruhiger Indiemusik tanzen. Eine Plastikhülle schützt das kompakte lila Bündel, das mit seinen nur 8,5 x 12 cm bequem in eine Hand passt. Geschlossen wird das Tütchen durch ein gelbliches Stück Papierklebestreifen mit unregelmäßigen Punkten, die ein wenig an einen Tierfellprint erinnern. Das Stück Band wirkt unbedacht abgerissen und aufgeklebt – als würden noch mehrere Stapel „Cosy Complex“ darauf warten, von Hand eingetütet und verklebt zu werden. Dieser Do-it-yourself-Aspekt verleiht der Verpackung einen gewissen Charme.
Gleichzeitig hat man es hier nicht mit einem handwerklich produzierten Künstlerbuchunikat zu tun, sondern mit einer maschinell gefertigten Publikation in einer Auflage von über 200 Exemplaren, die eine ganze Reihe von Produktionsschritten durchlaufen hat: So wird das Bündel im Inneren durch eine Art Festivalbändchen in Puderrosa zusammengehalten, dessen Enden mit einer silbernen Metallklemme verbunden sind. In mattgelber Schrift, groß und selbstbewusst, steht darauf der Titel „Cosy Complex“, sowie daneben, kleiner und in Dunkelblau, impressumstypische Angaben. Wenn man wollte, könnte man es tragen: „Ich war dabei, COSY COMPLEX, erste Edition, 2019.“ Eine URL verweist auf Internetseite des Künstlerduos Franziska Brandt und Moritz Grünke, die seit 2007 unter dem (Verlags-)Namen „Gloria Glitzer“ Künstlerpublikationen veröffentlichen.
Nach dem Entfernen des Bändchens wird deutlich, dass die davon zusammengehaltene Publikation aus zwei 18-seitigen Leporellos besteht. Auf einigen der Seiten sind verpixelte Aufnahmen einer lilafarbigen Schleimknete zu sehen, die – ähnlich der Zubereitung eines Teigs – mit den Fingern massiert wird. Auf den Endseiten der Leporellos prangen vor verwaschenem Hintergrund verschiedene Textfragmente, darunter der in „COSY“ und „COMPLEX“ aufgeteilte Titel sowie die englischsprachigen Anweisungen „TOUCH MORE THAN THAT“ und „MY DEATH DROP DEAD“.
Gedruckt sind beide Leporellos auf hochglänzender, dünner Pappe. Ihr jeweiliger Aufbau spiegelt sich: Auf der einen Seite zeigen beide unterschiedliche Formen und Texturen einer schleimigen Masse, meist in Pastelltönen, die geknetet oder berührt wird. Nur ein Bild sticht durch die goldene Farbe des Schleims hervor, gliedert sich jedoch trotzdem harmonisch in den Gesamteindruck ein. Bereits der Anblick der Fotografien und der an den Knickstellen des Leporellos eingefügten Begriffspaare, wie „KISS“ und „LIFE“, suggeriert eine nahezu haptisch-sinnliche Erfahrung.
Swantje Schurig, 2020
Künstlerbuch: Gloria Glitzer, „Cosy Complex“, 2019
1 Kommentar