Ausstellung | Douglas Huebler. November 1968 / 2018

Im Frühling 1966 gab der erst 25-jährige Galerist Seth Siegelaub seine Galerie in New York City auf. Mit der Begründung: „You don’t need walls to show ideas” [1] verstand und realisierte er Printmedien als geeignetes Mittel zur Kommunikation und Verbreitung von konzeptueller Kunst und zugleich als neutralste Möglichkeit, um diese zu präsentieren. Siegelaub begriff den Katalog als signifikante Informationsquelle über eine Ausstellung und setzte seine Idee, eine Schau in Buchform zu machen, letztendlich zum ersten Mal bei Douglas Hueblers „Katalog-als-Ausstellung“ November 1968 um.

Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums von Douglas Huebler. November 1968 gibt es die Möglichkeit, die Publikation auf Anfrage in der Privatwohnung von Marlene Obermayer, der Gründerin des Vereins Das Kunstbuch, zu besichtigen. Zusätzlich wird Marlene im November 2018 mit dem Katalog an unterschiedlichen Orten in Graz und Wien sein (genaue Termine werden noch bekanntgegeben), wo sie gerne Fragen, wie: Was bedeutet eine Präsentation von Kunst ohne Besucher_innen oder welche Faktoren sprechen für einen „Katalog-als-Ausstellung(sraum), beantwortet.

Zur Ausstellung Douglas Huebler. November 1968 / 2018 erscheint eine Postkarten-Edition (umgesetzt von Viadukt) in einer Auflage von 50 Stück. 

November 1968_8_Huebler
Artforum International, November 1968 (Foto: Marlene Obermayer)

Im November 1968 macht sich die Artfoumleser_in getreu der Angaben im Magazin auf den Weg in die 1100 Madison Avenue – ein Szenario, das durchaus hätte stattfinden können. Die erstaunte Besucher_in fand sich aber nicht, wie erwartet, in einer öffentlich zugänglichen Galerie, sondern in einem zehnstöckigen Wohngebäude wieder, in dem sich die Privatwohnung des damals 27-jährigen Kunsthändlers Seth Siegelaub befand. Hier sah sich das Publikum mit einem Problem konfrontiert, denn es gab weder einen angemessenen Ausstellungsraum, noch eine „richtige“ Ausstellung, wo man sich Auge in Auge mit dem Original befand:

The map pieces and ‚site sculptures’ tended to baffle those who received it, especially those who tried to visit the ‚gallery’ to see the ‚real’ art, only to be met at the door of a rather seedy apartment by the rather seedy ‚dealer’ (Seth Siegelaub) in his usual working costume – bathing suit or undershorts. Through the pieces did exist in ‚original’ form (for obvious reasons, Conceptual art having succeeded no better than anything else in subverting the commodity cover that is stifling current art), the reproductions in the catalogue provided the essential information as effectively as the originals. [2]

Der Katalog war der Träger der „primary Information“, wie Siegelaub sie nannte, nicht die Arbeiten, die in der Wohnung in Klarsichthüllen verteilt waren. Diese Art von informeller Präsentation bezog sich auch auf Douglas Hueblers Absicht, die Gegenwart des Künstlers aus der Mitte seines Werkes zu entfernen und […] as I just said, if the percipient could be considered the subject of a conceptual event then the owner of a conceptual work of art ought to be responsible for the form of its presentation.” [3]

Einen Katalog als Ausstellung zu bezeichnen und darüber hinaus die Besitzer_in eines Werkes der Konzeptkunst als verantwortlich für dessen Präsentation zu sehen, erscheint einerseits faszinierend, andererseits jedoch verwirrend. Weder die Künstler_in noch das Publikum sind bei November 1968 an einen Ort gebunden, denn Raum und Zeit werden in dieser tragbaren Schau dematerialisiert, und dies spiegelt sich auf metaphorischer Ebene in den konzeptuellen Skulpturen wider, die im Buchinneren dokumentiert sind.

 

001_Buchcover vorder und rückseite
Douglas Huebler, November 1968, Seth Siegelaub, New York, NY 1968 (Vorder- und Rückseite)

Was macht den Katalog November 1968 so besonders? Oberflächlich betrachtet unterscheidet sich die kleine quadratische Publikation kaum von den konventionellen Ausstellungskatalogen der späten 1960er-Jahre. Hier lohnt es sich, etwas genauer hinzusehen, denn im Inneren der Publikation sucht man vergeblich nach einem Vorwort bzw. einleitenden Worten, Essays oder ästhetisch anmutenden Ausstellungsansichten, die helfen sollen, die Schau so gut wie möglich nachzukonstruieren. Die oft aufwendig gestalteten Publikationen bewahren die Informationen über die Ausstellungen im Kern authentisch auf und sollen somit verhindern, dass die eine oder andere Schau in Vergessenheit gerät. Durch präzise Werkverzeichnisse wird oftmals auch eine Rekonstruktion vergangener Expositionen ermöglicht.

Auf die Frage von Charles Harrison, ob sich die Bedingungen für Ausstellungen verändert hätten und wenn ja, wie, antwortete Siegelaub, dass die Probleme der Ausstellung von Kunst bis 1967 klar waren: „[…] when a painting was hung, all the necessary intrinsic art information was there.[4]  In der Malerei oder Bildhauerei, in der die visuelle Komponente eine große Rolle spielt, stellt die Fotografie eine Verfälschung der Kunst dar, aber

[…] when art concerns itself with things not germane to physical presence its intrinsic (communicative) value is not altered by its presentation in printed media. The use of catalogues and books to communicate (and disseminate) art is the most neutral means to present the new art. The catalogue can now act as primary information for the exhibition, as opposed to secondary information ‘about’ art in magazines, catalogues, etc., and in some cases the ‘exhibition’ can be the ‘catalogue’. [5]

Der Beschluss von Seth Siegelaub, den Katalog für Hueblers Ausstellung als „primary Information“ einzusetzen, war eine Zäsur für diese Zeit und richtungsweisend für weitere Ausstellungen, die er in den folgenden Jahren organisierte. [6]  In einer Auflage von 1500 Stück verschickte Siegelaub den Katalog „[…] to everybody in the art world who would have been interested, like friends, critics, people from the Museum of Modern Art, names I got out of some art directory […]“ [7]

Siegelaub und Huebler entschieden sich – womöglich auch aus Kostengründen – für ein nüchternes Katalogheftchen mit gerade einmal 12 Blatt Stärke inklusive Umschlag. Der ausgeklappte Zustand des Umschlags zeigt eine Landkarte der USA mit eingezeichneten Breiten- und Längengraden. Das Cover dient als Form der Verortung und bezieht sich auf metaphorischer Ebene auf das im Katalog dokumentierte „Site Sculpture Project“ 42° Parallel, das sich über die gesamte Ost-Westküste der USA erstreckt. 

Das sogenannte Herzstück stellt das Statement auf der zweiten Seite dar, das unmittelbar nach der Titelseite abgedruckt ist. Interpretiert man den Katalog als „Nichtort“ der Ausstellung, so können diese Sätze auch als Wandtext gesehen werden, die der Ausstellungsbesucher_in eine exakte Einführung für das Verständnis der darin enthaltenen konzeptuellen Skulpturen gibt. Sechs klar formulierte Sätze des Künstlers geben der Rezipient_in eine Richtung vor, wie die darin dokumentierten Arbeiten zu verstehen sind:

The existence of each sculpture is documented by its documentation.

The documentation takes the form of photographs, maps, drawings and descriptive language.

The marker ‘material’ and the shape described by the location of the markers have no special significance, other than to demark the limits of the piece.

The permanence and destiny of the markers have no special significance.

The duration pieces exist only in the documentation of the marker’s destiny within a selected period of time.

The proposed projects do not differ from the other pieces as idea, but do differ to the extent of their material substance.                                                         D.H

Die Platzierung des Statements in der linken unteren Ecke der zweiten Seite scheint auf den ersten Blick nicht signifikant genug und so ist die Leser_in versucht, die Sätze beim ersten „Gang“ durch die Ausstellung zu überlesen. Doch an dieser Stelle ist Vorsicht geboten, denn ohne diese Sätze gelesen zu haben, macht sich sofort Unklarheit breit; Huebler und Siegelaub nahmen bei der Gestaltung des Katalogs bewusst davon Abstand, sich in einem Vorwort oder Essay zu erklären. Douglas Huebler bricht mit allen Erwartungen der Betrachter_in, die nach der Bedeutung der darin dokumentierten Arbeiten sowie Information dazu suchen. Die sechs präzise anmutenden Sätze Hueblers lassen wenig Spielraum für Interpretationen und können neben einem konventionellen „Künstlerstatement“ auch als Einleitung, Vorwort, AGB interpretiert werden. Entsprechend seines Versuch, den Fokus auf die dokumentierten Werke zu lenken, entschied sich Siegelaub dazu, keine schriftlichen Informationen einzufügen. 

Douglas Huebler, November 1968, Seth Siegelaub, New York, NY 1968
Douglas Huebler, November 1968, Seth Siegelaub, New York, NY 1968

Douglas Huebler dokumentiert im Katalog verschiedene Variationen seiner exklusiv für die Ausstellung produzierten Arbeiten, die in den Jahren 1967-1968 entstanden und mit seinem Statement auf der ersten Seite abgestimmt werden können. In der folgenden Analyse zeichnet sich gut ab, wie Huebler und Siegelaub den Katalog fein säuberlich durchkomponierten. Ein Aspekt, der hier nicht außer Acht gelassen werden darf, ist die Gegenüberstellung des Statements mit dem Werkverzeichnis, das 15 Arbeiten auflistet, wovon 12 im Katalog als Text-Bild-Konglomerate dokumentiert sind und von Huebler in einer willkürlichen Reihenfolge angeordnet wurden. Bezieht man sich auf den ersten Satz des Statements – The existence of each sculpture is documented by its documentation – so rechtfertigt es die Tatsache, dass auf den folgenden Seiten nicht alle aufgelisteten Werke „zu sehen“ sind. Huebler macht bereits mithilfe der Auflistung inklusive Nummerierung, Material und Größenangaben die Werke existent, jedoch reduzierte er das gewohnte Seherlebnis auf das Minimum und leert die Bedeutungsebenen.

An dieser Stelle kann erneut die Frage gestellt werden, in welchem Verhältnis die Ausstellung zum Katalog, bzw. in welchem Verhältnis der Katalog zur Ausstellung steht. Das Statement von Douglas Huebler kann auch als Wandtext gesehen werden, der als Erklärung für das weitere Verständnis der gezeigten Werke im Katalog dient. Obwohl es sich um nur sechs Sätze handelt, reicht es nicht aus, sie einmal schnell zu überfliegen. Die Rezipient_in ist gezwungen, sich beim „Rundgang“ durch die Ausstellung immer wieder an den Anfang des Katalogs zu begeben. Je öfters das Statement gelesen wird, desto schlüssiger werden die konzeptuellen Skulpturen des Künstlers, die im Kopf der Betrachter_in gedanklich vollendet werden. Diese interessante Beobachtung war nur nach längerer Beschäftigung mit den dokumentierten Arbeiten Hueblers möglich und spricht für den Katalog als Ausstellung(sraum), der es erlaubt, sich ohne Zeitdruck mit dem Kunstwerk auseinanderzusetzen und ohne an einen Ort im Realraum gebunden oder abhängig von Öffnungszeiten einer Galerie oder eines Museums zu sein. Huebler mochte den Gedanken daran, dass das Kunstwerk sich von selbst vollendet, egal ob er schlief oder arbeitete.


[1] Siegelaub zit. nach David L. Shirey, Impossible Art – what it is, in: Art in America, May-June 1969, S. 39.
[2] Vgl. Lippard 1972, S. 29. Laut Robert Barry befand sich die Wohnung im 1. oder 2. Stock des Gebäudes (siehe Email Korrespondenz zwischen der Autorin und Barry, 27.12.2016). Der junge Galerist Seth Siegelaub sowie auch der Künstler Douglas Huebler waren Mitte der 1960er-Jahre an einem Wendepunkt ihrer Karriere angelangt. Siegelaub schloß 1966 seine permanente Galerie an der 16 West 56th Street in New York City. Huebler hörte auf, minimalistische Formica-Skulpturen herzustellen und widmete sich fortan nur mehr seinen konzeptuellen „Site Sculpture Projects“. (Vgl. Martinetti 2015, S. 20).
[3]  Huebler zit. nach Frédéric Paul, Interview mit Douglas Huebler, in: Douglas Huebler. Variable, etc. (Kat. Ausst., F.R.A.C., Limoges 1992/1993), Limoges 1993, S. 128.
[4] Vgl. Siegelaub zit. nach Charles Harrison, On exhibitions and the world at large. A conversation with Seth Siegelaub, in: Studio International, Dezember 1968, S. 202.
[5] Siegelaub zit. nach Harrison 1969, S. 202
[6] Unmittelbar nach November 1968 erschien das erste Künstlerbuch von Lawrence Weiner Statements. Im Dezember folgte das Xerox Book, das Siegelaub zusammen mit Jack Wendler herausgab. In dem „Buch-als-Ausstellung“ finden sich neben den Zeichnungen von Douglas Huebler auch Arbeiten von Carl Andre, Robert Barry, Joseph Kosuth, Sol LeWitt, Robert Morris und Lawrence Weiner (Vgl. Kat. Ausst. Stedelijk Museum Amsterdam 2015, S. 116). Im Jänner 1969 fand die Gruppenausstellung January 5-31, 1969 statt, dazu erschien ein Katalog, der die primäre Information zum Inhalt hatte. Für diese Ausstellung, mietete sich Siegelaub für einen Monat Büroräumlichkeiten im McLendon Building in NYC. In der Ausstellung waren je zwei Arbeiten von Barry, Huebler, Kosuth und Weiner zu sehen. Zwei Monate danach erschien der „Kalender-als-Ausstellung“ March 1969. Im April 1969 fand Robert Barrys „immaterielle“ Einzelausstellung in Form eines Posters statt. Ursprünglich wollte Siegelaub einen Katalog wie bei Hueblers „November Show“ produzieren, Barry lehnte aber ab. (Robert Barry im Gespräch mit Marlene Obermayer, 18.09.2016). Katalog zur Gruppenausstellung July, August, September 1969. Diese Aufzählung stellt nur einen Auszug dar. Eine ausführliche Chronik findet sich in: Kat. Ausst. Stedelijk Museum Amsterdam 2015, ab S. 100.
[7] Leen 1991, S. 65-66

 

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